Vor einigen Tagen hatte ich in der c-base mit einem CCC-Mitglied eine längere Diskussion über die Zukunft des CCC. Dabei projizierte ich mehrere Aktionen des vergangenen Jahres in die Zukunft. Das Bild, das ich erhielt, war sehr düster, aber nicht auch sehr ungewiss, ob es so eintreten wird.
Es gibt zwei markante Aktionen im Jahr 2011, die hier als Grundlage gelten sollen:
- den Ausschluss von Daniel Domscheit-Berg als Mitglied
- die Veröffentlichung des Staatstrojaners
Beide Aktionen führten bei mir zu einem gewissen Misstrauen gegenüber Club-Sprechern. Im ersten Fall erfuhren die Mitglieder, also die Basis des Vereins, diese Aktion erst durch die Presse – wenn sie denn während des Chaos Communication Camp dazu kamen, die Presse zu verfolgen. Bei der zweiten Aktionen wurde zumindest ein paar Stunden vor der Veröffentlichung durch die Presse auf die Aktion hingewiesen – und das mit einer ausführlichen Erklärung.
Dennoch ist seit einigen Jahren ein sehr großes Misstrauen vor Vorabveröffentlichung, Gerede oder Ausplaudern auf Twitter (oder ähnliche Dienste) zu spüren. Es wird an Informationen zurückgehalten. In kleinen Gruppen wird an einem Thema gearbeitet, bis es veröffentlichungsreif ist oder verworfen wird. Es gibt kaum Punkte, an denen man zur Mithilfe andocken kann, denn neue Leute haben grundsätzlich das Stigma des Misstrauens.
Ein ähnliches Phänomen erlebte der Chaos Computer Club 1988, als nach dem KGB- und NASA-Hack der Verfassungsschutz eingeschaltet wurde. Mitglieder warfen sich gegenseitig vor, als V-Männer aktiv zu sein. Reinhard Schrutzki, zu der Zeit im Vorstand des CCC e.V., berichtet darüber im Film “Hacker” und auf seiner Webseite. Der Film “23” zeigt aus der Perspektive von einem der KGB-Hacker, wie das Misstrauen durch das Einschalten des Verfassungsschutzes wuchs. Aktive kehrten dem Club den Rücken zu. Die Auswirkungen waren knapp zehn Jahre spürbar, denn in den 90ern lief außer dem jährlichen Chaos Communication Congress und dem Besuch der Telekom auf der CeBIT kaum etwas. Erst die nächste Generation an Mitgliedern brachten den Club Ende der 90ern wieder ans Laufen und führten ihn dahin, wo er heute steht.
Meine Dystopie im Gespräch in der c-base war ein ähnliches Bild: mangelndes Vertrauen und Zersplitterung. Es gibt extrem aktive lokale Gruppen, wo sich Leute zusammenfinden, die sich noch vertrauen können und gemeinsam etwas schaffen. Jede Gruppe wird von sich behaupten, als CCC aktiv zu sein und in seinem Namen sprechen. Aber es wird nicht mehr den CCC als das “Sprachrohr der Hackerszene” geben, da einfach nicht erkennbar ist, wer nun für “den CCC” spricht. Oder auch nur, ob eine Aktion vom CCC stammt oder von einer lokalen Splittergruppe.
Auf den zweiten Blick kommt dieses aber dem Ziel des CCC näher. Ich zitiere aus der Hackerethik:
- Alle Informationen müssen frei sein.
- Mißtraue Autoritäten – fördere Dezentralisierung
Mit vielen lokalen Aktionen kommen wir dem ersten Ziel, der Informationsfreiheit, näher. Das zweite Ziel wird bereits gelebt oder wird stärker in Anspruch genommen.
Damit verschiebt sich das Problem in die Richtung des “Sprachrohrs”. Die Frage lautet hier, wie werden die lokalen Aktionen an eine große Öffentlichkeit vermittelt? Ich kann es durchaus verstehen, dass die bisher als Sprecher des CCC aufgetreten Personen (zu denen ich für eine Zeit lang gehörte), keine Lust darauf haben, Aktionen an die Presse zu vermitteln, die sie selbst nicht verfolgt und an diesen mitgewirkt haben. Auf der anderen Seite hat der CCC einen Qualitätsanspruch – sowohl von sich selbst als auch dass die Presse dieses inzwischen gewohnt ist. Pressemitteilungen sind ausgefeilt, beinhalten Spitzen und bieten Anhaltspunkte zur weiteren Recherche. Da stecken mehrere Jahre Erfahrung im Verfassen von Texten und im Umgang mit Journalisten drin.
Diese Erfahrung ist schwer zu vermitteln. Ein einfacher “wie gehe ich mit der Presse um”-Workshop reicht da nicht aus. Das muss gelebt werden. Und hier beisst sich die Katze in den Schwanz (zumindest habe ich es bereits öfters so erlebt): Sobald ein lokaler CCC-Treff ein Thema bearbeitet und damit an die Öffentlichkeit geht, wird direkt drauf gekloppt, dass diese Arbeit nicht professionell genug war. Beim nächsten Mal holt man sich in internen Kreisen eine Rückversicherung rein, wird aber entweder gar nicht beachtet oder direkt dort auseinander gepflückt. Ein positiver, konstruktiver Umgang ist sehr selten.
Damit die Dystropie des gegenseitigen Misstrauens nicht wahr wird, wünsche ich mir einen offeneren Umgang mit lokalen Gruppen. Der CCC braucht mehr aktive Leute, die bereit sind, für den Club in seinem Namen zu sprechen. Die ein Interesse daran haben, den Umgang mit der Presse zu erlernen. Die die technischen Aktivitäten in den lokalen Clubs auf einem gesellschaftlich verständlichen Niveau präsentieren können. Und ich wünsche mir, dass die üblichen Platzhirsche einen Schritt zurück treten und mal darüber nachdenken, dass auch sie vieles im Laufe der Jahre erlernen mussten.
Zumindest durch das Aufkeimen der Hackerspaces-Szene wird ja gerade auch eine parallele Infrastruktur geschaffen. Die Hackerspaces sind viele kleine Clubs, die unter einer Dachorganisation zusammengehalten werden. Der CCC selber kümmert sich eher um Lobbyarbeit und Veranstaltungsorganisation. So empfinde ich es jedenfalls.
Das Thema “Dachorganisation” ist ein ganz anderes im CCC, das ich seit mindestens 2001 beackere. Durch diverse Umstellungen (insbesondere in der Satzung und in Hamburg) sind wir dem ein ganzes Stück näher gekommen. Die Veranstaltungsorganisation wird von der clubeigenen Chaos Computer Club Veranstaltungsgesellschaft mbH durchgeführt.
Die Öffentlichkeitsarbeit, zu der unter anderem, aber nicht ausschließlich, die Lobbyarbeit gehört, ist genau der Knackpunkt. Es gibt “den CCC” und es gibt ”die Sprecher des CCC”, aber die sind nicht gewählt oder legitimiert. Es sind Personen, die sich herauskristallisiert haben. Sie machen einen guten Job und ich kann es verstehen, dass es eine gewisse Angst gibt, wenn aus einem lokalen Club jemand quer schlägt. Da kann teilweise monate- bis jahrelange Arbeit hinter stecken, die schnell kaputt gemacht werden kann.
Hallo Lars,
dieser Vorgang der Auflösung bzw. des Wandels ist ein elementarer Bestandteil von Gruppen. Aus jahrelanger Gruppenarbeit kenne ich das Problem. Bei Jugendgruppen ist dies ein Vorgang, der sich nach 2-3 Jahren einstellt. Bei Vereinen dauert sowas i.d.R. länger, aber wenn man sich die Mitglieder anschaut, stellt man fest, das 95% der Mitglieder ausgetauscht wurden.
Für den CCC sehe ich (als Außenstehender) zwei typische Wege:
a) die Beschränkung auf eine recht kleine Gruppe (max. 100-150 Leute), die sich persönlich kennen. In diese elitäre Gruppe wird man nur auf Empfehlung von Mitgliedern aufgenommen, wenn die anderen Mitglieder das neue Mitglied kennengelernt (und für passend befunden) haben.
b) eine dezentrale Struktur aus weitgehend unabhängigen lokalen Gruppen (vielleicht sogar Vereinen), die in einem Dachverein zusammengeschlossen sind. Dieser Dachverein bietet Infrastruktur / übergreifende Leistungen für die lokalen Gruppen an (größere Events, Orga von Workshops), ohne sich jedoch in die Arbeit der lokalen Gruppen einzumischen. Nachteil ist sicherlich der Aufwand für lauter dezentrale Vereine mit Vorstand etc.
Dein Ruf nach mehr Aktiven wird nur dann auf fruchtbaren Boden fallen, wenn die derzeit aktiven Mitglieder neue Leute gerne aufnehmen und unterstützen/sponsorn.
Die beiden on Dir beschriebenen Wege sind bereits umgesetzt 😉 Es gibt die “kleine Gruppe”, die sich gegenseitig vertraut. Und es gibt den Dachverband mit lokalen, eigenständigen Vereinen. Das Konstrukt ist im Lauf der vergangenen 30 Jahre gewachsen, nicht perfekt, aber es funktioniert, ohne viele Ressourcen zu verschlucken.
Finde ich seltsam vertraut.
Nur: Das Amt eines Sprechers kennt der CCC nicht.
Siehe Satzung.
Jeder kann sagen, was er will.
Passt natürlich nicht jedem, was wiederum
jedermanns Problem ist 🙂
Nachts sind alle Hacker grau…
Danke für Deine Worte, Reinhard 🙂
Du hast damit Recht, dass es das “Amt des Sprechers” nicht gibt. Am kommenden Wochenende wird sich entscheiden, ob dieser “Posten” in Zukunft durch die Mitglieder legitimiert werden soll. Dadurch wird der CCC ein Teil seiner Schlagfertigkeit einbüßen, wenn nur legitimierte Personen in seinem Namen sprechen dürfen. Aber wem sage ich das? Du hast das alles schon vor einem viertel Jahrhundert mitgemacht…
Ich denke, dass eine Lösung für das Sprecher-Dilemma eine neue Rolle „kümmert sich um Öffentlichkeitsarbeit“ im Vorstand sein könnte. Demokratisch legitimiert, und als Schnittstelle zwischen Sprecherteam (das es natuerlich weiterhin geben kann) und Vorstand. Das bräche zumindest den gefühlten Graben zwischen Vorstand und Sprechern auf. Und, na klar, im Zweifel auch auf irgendeine Weise, bedingt durch demokratische Legitimation, sowas wie weisungsbefugt auch – aber bei dieser Konstruktion bestände die Hoffnung, dass sich sowas wie DDB nicht mehr wiederholt.
Zum Thema Pressearbeit Vielleicht ist es einfacher, wenn die lokalen Gruppen auch vermehrt auf die Lokalpresse zugehen. Das erfordert aber auch Anpassungen. Mit den neuen Räumen kann der C4 ja auch Mal anvisieren, dass das OpenChaos in der Stadtrevue geführt wird. Dann muss man aber mehrere Wochen im Voraus wissen, was denn kommt. Anderes Ziel: die U23 in die WDR Lokalzeit bringen.
Ich war über die Jahre immer mal wieder bei dem einen oder anderen Erfa und Chaostreff. Reise viel rum, beruflich. Mal hier mal da. Wenn dann die Rede auf „die Berliner“ kam hab ich manchmal naiv nachgefragt. Wollte halt wissen, was denn nun in Berlin konkret falsch gemacht wurde und so. Richtig handfeste Beispiele gab es nie.
Mein Eindruck: es wollen alle gern immer mitreden und mit bescheid wissen. So eine Art Mitglieder Privileg, weil man ja zahlendes Mitglied ist. Aber selber Sachen machen, die dann bundesrelevant sind, da sind die wenigsten dann mal in der Lage sich zu berappeln. Just my 2 cents from outside.
T.
Diese Einschätzung teile ich mit dir.
Eine ganz stupide Idee, was fehlt: „Starter-Kit“ für das
Mitwirken im Club. Das Jugendprojekt U23 geht in diese Richtung, ist aber nicht an die konkrete Clubarbyte angelehnt.
Pylon redet über den Club, da sieht man, was bei raus kommt.
Früher (also vor mehr als einer Dekade) wichtiger Teil des CCC, seit Jahren nun nicht mehr, mit der Camp-Sache um Domscheidt-Berg und mit dem Staatstrojaner genau nichts zu tun, aber die regionalen und überregionalen Aktiven anpissen. Da fällt mir wieder ein, warum Pylon kein Sprecher mehr ist.
Was ist eigentlich mit „wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Klappe halten“ geworden?
Aber da rettet Pylon all den geschriebenen Mist mit einem Satz im Kommentar: „Das Konstrukt ist im Lauf der vergangenen 30 Jahre gewachsen, nicht perfekt, aber es funktioniert, ohne viele Ressourcen zu verschlucken.“
So ist das nämlich, ganz genau. Oh, und in „Konstrukt“ steckt die Wurzel von „konstruktiv“, lieber Pylon.
Vielleicht solltest du deine eigenen Worte umsetzen und einfach mal die Klappe halten?
Mir kommt es vor, dass du absichtlich eine Dekonstruktion heraus lesen wolltest, denn konstruktiv kannst du offensichtlich nicht argumentieren.